Der Schwäbischen Zeitung vom 31. August 2019 wie auch den Berichten in weiteren Medien über die Gedenkveranstaltungen in Polen anlässlich des Kriegsausbruches am 1. Sept. 1939 konnte man entnehmen, dass der unter Leitung des Luftwaffengenerals Wolfram von Richthofen (Cousin des bekannten Jagdfliegers Manfred von Richthofen) durchgeführte Luftangriff auf die polnische Stadt Wielun das erste deutsche Kriegsverbrechen des Polenfeldzuges gewesen sei. Dieser Darstellung widersprechen einige Historiker, darunter auch Dr. Stefan Scheil, Mitglied im Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung, Rheinland-Pfalz). Danach hätte die deutsche „Feindlage“ vom 31.08.1939 ergeben, dass sich im Großraum um Wielun bis zu drei polnische Divisionen und starke Panzerkräfte aufhielten. Zudem wurden mehrere Divisionsstäbe in Wielun vermutet und zumindest einer sei mit Sicherheit festgestellt worden. Die polnische Offensivplanung sah aus dem Raum Lodz/Wielun eine Offensive gegen Schlesien vor. Nach Scheil war der Angriff auf Wielun militärisch gerechtfertigt und deshalb kein Kriegsverbrechen. Ob ca. 150 Todesopfer – darunter meist Zivilpersonen (Scheil) – oder bis zu 1200 Todesopfer, wie von polnischer Seite behauptet, davon ist jedes zuviel, denn dieser Krieg wäre vermeidbar gewesen, hätte dieser Krieg nicht zu „viele Väter“ gehabt.
Neben der großen Schuld, die aus der Zeit vom 1. September 1939 bis Anfang 1945 auf deutschen Schultern lastet, sollten die von Polen an Deutschen, aber auch an anderen Völkern begangenen Verbrechen zwischen 1919 und 1939 und ab 1945 nicht vergessen werden. Diese begannen mit einem brutalen Eroberungskrieg mit ca. 750.000 Opfern beider Seiten gegen die östlichen Nachbarn 1919-1921, der erst mit der Besiegelung der polnischen Landnahme bis zu 300 km tief im Osten 1921 Frieden von Riga sein Ende fand. Gegenüber Deutschland waren es vor allem die Eroberungszüge der „Insurgentenarmee“ (Insurgent = Aufständiger, Aufrührer, Partisan) des Wojciech Korfanty, die 1921 mit der Schlacht am St.-Annaberg in Oberschlesien gestoppt wurden. Im Frühjahr und im Herbst 1933 forderte der damalige Militärdiktator Marschall Pilsudski einen gemeinsamen Präventivschlag von Frankreich und Polen gegen Deutschland! Eine Entspannung im deutsch-polnischen Verhältnis trat erst mit dem Deutsch-Polnischen Nichtangriffspakt vom 26.01.1934 ein. Hitler, bei dieser Gelegenheit zu einem polnischen Gesandten: „Polen kann sich glücklich schätzen von einer so großen Persönlichkeit wie Marschall Pilsudski regiert zu werden.“ Der Historiker Martin Broszat scheibt: „In der militärischen, autoritären Vorstellungswelt des polnischen Marschalls spürte Hitler instinktiv etwas Verwandtes.“ Pilsudski starb am 12.05.1935. Anlässlich des Todes von Pilsudski arrangierte Hitler für Pilsudski in Berlin einen katholischen Gedenk- und Ehrengottesdienst. Da Hitler während der gesamten Besatzungszeit von 1939 bis 1944 an der Grabstätte Pilsudskis in Krakau eine Ehrenwache der Wehrmacht stellen ließ, beweist, dass diese Ehrerbietung für den polnischen Militärdiktator nicht geheuchelt war. Man kann darüber spekulieren, ob es den Zeiten Weltkrieg in Europa nicht gegeben hätte, wäre Pilsudski mit seiner späteren Politik des Ausgleichs mit Deutschland 1939 noch am Leben gewesen.
Mit Pilsudskis Nachfolger Edward Rydz-Smigly trat eine erneute Verfolgung der deutschen Minderheit in den an Polen abgetretenen Gebieten ein, die zur Flucht von hunderttausenden Volksdeutscher bis 1939 führte. Das Verhältnis zu Deutschland war bereits Monate vor dem 1. September 1939 aufs äußerste angespannt. Rydz-Smigly sah sich wohl als Sieger einer kommenden militärischen Auseinandersetzung.
Der spätere Generalfeldmarschall Erich von Manstein berichtet in seinem Buch „Verlorene Siege“,
dass ihm beim Betreten der Villa des geflüchteten Marschalls Rydz-Smigly ein lebensgroßes Bild auffiel, das Rydz-Smigly hoch zu Ross an der Spitze der siegreichen polnischen Truppen beim Durchreiten des Brandenburger Tores zeigte.
Rydz-Smigly im Juni 1939 vor polnischen Offizieren: „Polen will den Krieg mit Deutschland, und Deutschland wird ihn nicht vermeiden können, selbst wenn es das wollte.”
Ein weiteres Zitat aus den letzten Tagen vor Kriegsbeginn zeigt die aufgeheizte Stimmung in Polen: “Wir sind bereit, mit dem Teufel einen Pakt abzuschließen, wenn er uns im Kampf gegen Hitler hilft.
Hört ihr: Gegen Deutschland, nicht nur gegen Hitler. Das deutsche Blut wird in einem kommenden Krieg in solchen Strömen vergossen werden, wie dies seit Entstehung der Welt noch nicht gesehen worden ist.”
— Die Warschauer Zeitung “Depesza”, 20.08.1939 .
Mein Vater hatte im Juli 1939 den Auftrag zu einer Dienstfahrt von Breslau über Posen und Bromberg nach Ostpreußen erhalten. Als er mit einem Zivil-PKW der Luftwaffe die polnische Grenzstation erreichte, riet ihm der polnische Grenzbeamte von der Weiterfahrt ab, da es im Raum zwischen Bromberg (Bydgoszcz) und Posen zahlreiche Übergriffe auf Deutsche gegeben habe.
Er warnte meinen Vater zu Recht, denn ab 3. September 1939, noch bevor der erste deutsche Soldat
das Gebiet betreten hatte, starteten irreguläre und reguläre polnische Einheiten und Zivilisten in und um Bromberg, später fast landesweit eine Vernichtungsorgie gegen alle Deutschen, denen sie habhaft wurden, mit einer bis heute nicht gesicherten Zahl von Todesopfern, da sich diese Übergriffe bis nach Warschau erstreckten.
Dieses Massaker ging unter der Bezeichnung „Bromberger Blutsonntag“ in die Geschichte ein.
Die Schriftstellerin und frühere Korrespondentin der „Zeit“, Helga Hirsch, beschreibt in ihrem Buch „Die Rache der Opfer“ die Vorgänge in Bromberg recht eindringlich. Noch aufwühlender die grausamen Tatortphotos und die Berichte der Gerichtsmediziner über die menschliche Vorstellungskraft übersteigende Grausamkeiten, gezeigt an haufenweise aufgetürmten entstellten Leichen, in dem Buch „Der Tod sprach polnisch“, Arndt-Verlag.
Piloten deutscher Kampfflugzeuge sahen zahlreiche brennende Bauernhöfe in den noch nicht eroberten Gebieten. Es waren, wie sich nach dem Einmarsch der Wehrmacht ergab, die Höfe volksdeutscher Familien. Sofern man die Bewohner dieser Höfe nicht als Leichen vor Ort vorfand, sind sie mit unbekanntem Schicksal verschleppt worden. In einem Massengrab fand man 45 Leichen, darunter 41 Bauern aus dem Dorf Sockelstein, Landkreis Wreschen, Prov. Posen. Es muss zur Ehre von Teilen der ansässigen polnischen Bevölkerung gesagt werden, dass es auch Polen gab, die sich schützend vor die verfolgten Deutschen stellten. Von der enthemmten Masse wurden sie dann ebenfalls misshandelt und auch getötet.
Folgt man der linken Zeitschrift TAZ, haben diese Massaker nicht stattgefunden. Nach polnischen Quellen wurden an diesen Tagen einige wenige Deutsche erschossen, weil sie angeblich als Partisanen auf polnisches Militär und auf Zivilpersonen Anschläge verübt hätten. Helga Hirsch geht von landesweit ca. 5000 getöteten Deutschen aus. Die Wehrmachtsuntersuchungsstelle nennt in ihrem Bericht 5437 nachgewiesene Opfer. Nach anderen Angaben wurden im Sept. 1939 in ganz Polen bis zu 13000 Personen deutscher Herkunft getötet, bevor die deutschen Einheiten die jeweilige Region erobern konnten. Auch wurden viele Leichen in Wäldern, Gräben und Teichen erst später entdeckt. Die Propaganda von Dr. Josef Goebbels erhöhte die Opferzahl auf 58000.
Die ältere Generation in Bad Wurzach kann sich vielleicht noch an den alten oberschlesischen Förster Witte erinnern, der in Bad Wurzach, Ziegelbach-Obergreut wohnte. Witte, damals in dem an Polen abgetretenen Teil Oberschlesiens im polnischen Staatsdienst tätig, wurde Ende August 1939 von seinem Freund, einem polnischstämmigen Briefträger, gewarnt, die „Insurgenten“ hätten ihn auf ihre Todesliste gesetzt und wollten ihn in der kommenden Nacht liquidieren. Witte entzog sich der Gefahr, indem er sich noch am gleichen Tage als Freiwilliger bei der nächsten polnischen Armeeeinheit meldete.
Auch während des Zweiten Weltkrieges gab es versöhnliche Momente zwischen Polen und Deutschen. Einer meiner Onkel, damals Kommandeur einer Luftwaffen-Bauabteilung, berichtete mir, dass polnische Bäuerinnen 1944 unseren Soldaten Milch und Brot bis zu den Stellungen gebracht haben.
Die Angst vor ihren „Befreiern“ war offensichtlich größer als die Furcht vor unseren Soldaten.
Wegen der schweren Luftangriffe auf Mitteldeutschland waren meine Mutter mit mir und meinem Bruder, mit Großmutter und Tanten nach Lissa im Wartheland (Leszno) zu einer polnischen Eisenbahnerfamilie evakuiert. Die Monate von August bis Dezember 1944, mit meinen Spielkameradinnen, den beiden Töchtern der polnischen Familie, gehören zu den wenigen glücklichen Erinnerungen meiner Kindheit, ohne Bomben, russische Panzer und Soldaten, ohne Flucht, Gefahr und Not.
Die vorgenannten Beispiele zeigen, dass die bundesrepublikanische Geschichtsschreibung zu einseitig, unpräzise und politisch beeinflusst ist. Das soll nicht die aus dem damaligen Rassenwahn erwachsene deutsche Schuld gegenüber der polnischen Bevölkerung relativieren. Auch werden wir unser Nachbarvolk nur verstehen, wenn wir seine Geschichte mit ihren Höhen und Tiefen kennen. Eine Geschichtsschreibung, die nicht auf Wahrheit beruht, treibt Keile zwischen die Völker, statt sie zu versöhnen. Leopold von Ranke, der Altmeister der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert, formulierte das so: „Die Geschichtsschreibung darf sich niemals zur Hure der Politik machen.“
Hans-Joachim Schodlok
Bad Wurzach
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